Der FUSS e.V. hat eine Verbandsposition zur Modernisierung und Optimierung der Mischverkehrsflächen-Regelung „Verkehrsberuhigter Bereich“ gebildet. Der Konsensbeschluss wurde in der Mitgliederversammlung beim BUVKO im März 2009 in Dresden gefasst. Auftakt war ein öffentliches Mitgliederforum, bei dem verschiedene Varianten vorgestellt und erörtert wurden. In den Meinungsbildungsprozess waren auch die Schwesterverbände aus den deutschsprachigen Nachbarländern Fussverkehr Schweiz und Walkspace.at, einbezogen.

Handlungsbedarf / Ausgangslage

Erst wenn ein amtliches Verkehrszeichen es anordnet, wird eine Fahrbahn aufgehoben und rechtswirksam und erkennbar zu einer Mischverkehrsfläche. Das erfolgt grundsätzlich durch Zeichen (Z.) 325 „Verkehrsberuhigter Bereich“. (1) In beschilderten Mischverkehrsflächen hat der Fußverkehr immer juristischen Vorrang vor Fahrzeugen. Leider treten bei Z. 325 zwei Probleme auf: Erstens kennen viele Fahrer/innen nicht die damit verbundenen Verkehrsregeln; das gilt insbesondere für die eingeschlossene Begrenzung auf „Schrittgeschwindigkeit“ (welche – erschwerend - vom Verordnungsgeber nicht näher bestimmt wurde). Zweitens ist die Anordnung nur in Straßen mit überwiegender Aufenthaltsfunktion möglich (VwV-StVO). Dieses Kriterium schränkt den Einsatz von Verkehrsberuhigten Bereichen in der Praxis stark ein. Das gleiche gilt für die mit dem Schild verbundene Verkehrsregelung „Kinderspiele sind überall erlaubt“ (§ 42 Abs. 4a StVO; für sich genommen zu begrüßen. Aus diesen Gründen wagen es nur wenige Straßenverkehrsbehörden, Verkehrsberuhigte Bereiche bei stärker befahrenen Straßen und Plätzen oder etwa in Einkaufsstraßen anzuordnen. Bei der Zurückhaltung spielt auch eine Rolle, dass Schrittgeschwindigkeit in einigen nach „Mischverkehr“ schreienden Straßen und Plätzen weder notwendig noch durchsetzbar wäre. Somit ist die praktische Anwendung vielerorts auf kaum befahrene Wohnstraßen begrenzt.

Für Fälle, in denen Tempo 20 ein guter Kompro-miss zwischen den Interessen von Fuß- und Fahrverkehr wäre, steht in Deutschland nur eine reine Geschwindigkeitsanordnung zur Verfügung: Der „Verkehrsberuhigte Geschäftsbereich“ (Z. 274.1; oft „Tempo-20-Zone“ genannt). Diese Regelung beinhaltet keinerlei Zusatzrechte für den Fußverkehr: Die Fahrbahn bleibt Fahrbahn und darf – wie in jeder anderen Straße – nur zum Queren betreten werden. Das darf nur unter bestimmten Bedingungen erfolgen: Unter Beachtung des Vorrangs geradeaus fahrender Fahrzeuge, „zügig“ und „auf dem kürzesten Weg“, u.U. sogar nur an wenigen besonderen Stellen im Straßenzug (§ 25 Abs. 3 StVO). Die Fußgänger/innen müssen Lücken im Fahrzeugverkehr abwarten oder um Erlaubnis zur Fahrbahnquerung bitten bzw. die Querung – rechtswidrig - erzwingen.

Lösung / Beschluss FUSS e.V.

FUSS e.V. fordert die Einführung zweier spezifischer Mischverkehrsregelungen:

Zu 1 - „Spielstraße“

Der Verkehrsberuhigte Bereich wird – in Anpassung an die volkstümliche Bezeichnung – in „Spielstraße“ umgetauft. Die bisherige Regelung gleichen Namens entfällt (Z. 250 mit Zusatzschild). Z. 325 wird durch eine grafisch integrierte Höchstgeschwindigkeitsdarstellung in Anlehnung an das Schweizer Verkehrszeichen „Begegnungszone“, jedoch begrenzt auf 5 km/h, ergänzt. Hiermit wird erstmals eine Legaldefinition für die „Schrittgeschwindigkeit“ vorgenommen, und gleichzeitig eine allgemein verständliche Darstellung vor Ort. Der Altbestand der Verkehrsberuhigten Bereiche ist binnen einer Übergangszeit mit der Geschwindigkeitsangabe nachzurüsten.

Zu 2. - „Begegnungszone“

Für Anwendungsfälle, in denen das Vortrittsrecht des Fußverkehrs beim Wechsel der Straßenseite im Vordergrund steht, wird das quadratische französische Verkehrszeichen „Zone de rencontre“ eingeführt. Dieses integriert ebenfalls eine grafische und deutlich erkennbare Höchstgeschwindigkeitsanordnung, hier 20 km/h. Die Regelung orientiert sich an der 2002 eingeführten Schweizerischen, die auch den Namen gibt. Das französische Schild wird aus drei Gründen favorisiert: 1.) Vermeidung von Missverständnissen bezüglich der (bewusst!) nicht eingeschlossen Spielerlaubnis, 2.) Verdeutlichung des Vorrangs bei Querungen, und 3.) Vermeidung von Verwechslung mit Zeichen 325-neu (s.o.) durch den Formatunterschied. Ungeachtet dessen gelten ansonsten grundsätzlich die gleichen Verkehrsregeln wie bei Z. 325/325-neu (z.B. keine unnötige Fahrzeugbehinderung durch Fußverkehr, Pkw-Parken nur in gekennzeichneten Flächen). (3) Ggf. soll alternativ zu „20“ auch die Höchstgeschwindigkeit 10 km/h angeordnet werden können.

Ausblick / Einordnung

FUSS e.V. wird den Neuregelungsvorschlag an die Verkehrsministerien bei Bund und Land herantragen und die Einführung in die StVO samt Verwaltungsvorschriften (VwV-StVO) fordern. Andere Verbände und Konstitutionen sollen kontaktiert und um Unterstützung gebeten werden. Langfristig wird eine europäische Harmonisierung angestrebt, was durch die Weiterentwicklung vorhandener Regelungen und Verkehrszeichen erleichtert wird. FUSS e.V. bietet an, an der Neudefinition der verwaltungsverbindlichen Anordnungsvoraussetzungen der VwV-StVO mitzuwirken. Diese sollten klar und gleichzeitig flexibler formuliert werden. Insbesondere gilt es, Einsatzbedingungen für Varianten ohne Vollumbau von Straßen (Beibehaltung bestehender Bordsteine) aufzunehmen, sei es zur Kosteneinsparung oder aus städtebaulichen bzw. denkmalpflegerischen Gründen.

Übrigens: Die beiden vorgeschlagenen Instrumente ermöglichen die fußverkehrsfreundliche Ausführung von „Shared-Space“-Projekten.

In Kürze

FUSS e.V. fordert die Ausweitung, Diversifizierung und Umbenennung des Verkehrsberuhigten Bereichs. Die Beibehaltung und juristische Klarstellung der Schrittgeschwindigkeitsregelung ist ein zentrales Verbandsanliegen. Ergänzend sollen künftig auch „Begegnungszonen“ angeordnet werden können: Eine Regelung für Straßen und Plätze, in denen eine maximale Fahrgeschwindigkeit von 20 km/h das Optimum ist, und wo der Fußverkehr überall bevorrechtigt queren kann; hier geht vom Schild keine Spielerlaubnis aus. Diese „Doppelpackung“ deckt alle Einsatzwünsche ab.

Hintergrund: Unbeschilderte Shared-Space-Straßen...

...sind straßenverkehrsrechtlich keine Mischverkehrsflächen, sondern „Fahrbahnen“. Der querende Fußverkehr unterliegt den gleichen Rechten und Pflichten wie in jeder normalen Straße: „Fußgänger haben die Fahrbahn unter Beachtung der Fahrzeugverkehrs zügig und auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrtrichtung zu überschreiten, und zwar, wenn die Verkehrslage es erfordert, nur an Kreuzungen oder Einmündungen“ (§ 25 Abs. 3 StVO). Fehlt ein baulich oder markierungsmäßig abgetrennter Gehweg bzw. Seitenstreifen, gilt die ganze Straße als „Fahrbahn“. Dann hat der Fußverkehr noch weniger Rechte als in normalen Straßen: „Fußgänger müssen (...), wenn die Straße weder einen Gehweg noch einen Seitenstreifen hat (...), innerhalb geschlossener Ortschaften am rechten oder linken Fahrbahn-rand gehen (...). Bei Dunkelheit (...) müssen sie einzeln hintereinander gehen“ (Abs. 1).

Es gibt also weder eine Gleichberechtigung unter den Verkehrsteilnehmer/ innen noch ein Aufenthaltsrecht für den Fußverkehr in der Straßenmitte. Vielmehr gelten die fahrzeugorientierten Standardregeln, u.a. Tempo 50! Es ist problematisch, wenn ein Straßenraum wie eine Mischfläche aussieht und in der Öffentlichkeitsarbeit auch so bezeichnet wird, aber juristisch keine solche ist. Der Widerspruch von „Bau“ (Gestalt) und „Betrieb“ (Verkehrsregelung) bei unbeschildertem Shared Space motiviert Fußgänger/innen zu illegalen Verhaltensweisen, ohne ihnen die Rechtswidrigkeit anzudeuten. Anders als in den Niederlanden gibt es in Deutschland keine automatische Verschuldungsvermutung zu Lasten des Fahrverkehrs bei Unfällen mit Fußgängerbeteiligung. Von daher empfiehlt es sich, Shared Spaces mit Mischflächen-Beschilderung zu ergänzen. Schon ein einziges der von FUSS e.V. vorgeschlagenen Verkehrszeichen genügt, um den Fußverkehr rechtlich abzusichern und den Fahrzeugvorrang aufzuheben. Gleichzeitig ergeben sich Möglichkeiten, das Parken zu ordnen, Raser/innen einzuschränken und Lärm zu vermindern. 

Quellennachweise und Anmerkungen:

  1. In Sonderfällen ist alternativ auch die Anordnung eines „Fußgängerbereichs“ (Z. 242) mit Zusatzschild (Freigabe für zumindest bestimmte Fahrzeugarten) möglich, was u.a. eine entsprechender Widmung oder Bebauungsplanfestsetzung voraussetzt; in Einzelfällen kommen auch gemeinsame Geh-/ Radwege (Z. 240) mit etwaiger Kfz-Freigabe in Betracht.
  2. Dabei kann die planerische Orientierungsgröße von ca. 400 Kfz/ Stunde aus den technischen Regelwerken des FGSV herangezogen werden (RASt 06; vgl. die aufgehobenen EAE 85/95 und EAHV 93)
  3. Allerdings sollte bei der Begegnungszone auf die bei Z. 325 gegebene Pflicht für Fahrzeuge, anderen Fzg. den Vorrang zu gewähren, wenn das „Ende“-Zeichen vor einem Knotenpunkt steht, verzichtet werden (Analogie zu ausländischen Regelungen).

 

Dieser Artikel von Arndt Schwab, Vorstand des FUSS e.V., ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2009, erschienen. 

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